Das Projekt ist bemüht um ein neues Verständnis des welthistorischen Prozesses der Dekolonisierung, besonders seiner kulturellen und gesellschaftlichen Aspekte. Dazu wird die Geschichte politischer Debatten über die Universalität oder die Partikularität der menschlichen Psyche nachgezeichnet. Ab den 1930er Jahren entstand mit der Ethnopsychologie ein neues wissenschaftliches Feld im Grenzgebiet der Fächer Anthropologie und Psychologie. Im Rahmen dieses wissenschaftlichen Felds wurde die menschliche Psyche debattiert: war die Psyche der Menschen universell gleich oder kulturell verschieden? Diese Frage erhielt angesichts des Endes der Kolonialreiche eine enorme politische Aufladung: Anthropologinnen, koloniale Psychiater, anti-imperiale Aktivisten und internationale Organisationen fanden jeweils höchst unterschiedliche Antworten darauf. Mit einem wissenschaftsgeschichtlichen Ansatz untersucht das Projekt, wie psychologische Expertinnen und Experten sich die Psyche nichtwestlicher Menschen vorstellten und welche politischen Programme an diese Vorstellungen gebunden waren. Zu diesem Zweck wird der Dialog zwischen Anthropologie und Psychologie in drei Unterdisziplinen rekonstruiert: Psychoanalyse, Entwicklungspsychologie und psychiatrische Epidemiologie. Eine Hypothese des Projekts geht dahin, dass die Ethnopsychologie ein Versuch darstellte, das Ende der Kolonialreiche wissenschaftlich zu bewältigen. Damit soll das Projekt nicht zuletzt auch Aufschluss geben auf die Rückwirkungen, die der Prozess der Dekolonisierung auf Europa hatte.