Projektbeschrieb Das Ende des Nachkriegsbooms ist von sozialen und kulturellen Umbrüchen gekennzeichnet, die sich in der Fürsorge- und Sozialpolitik der «langen» 1970er Jahre manifestieren. Die Therapeutisierung und Psychiatrisierung des Alltags wirken sich auf den Umgang mit Familie aus. Staatliche Interventionen führen nun über Beratungsinstitutionen. Doch welche Kriterien spielen für die behördliche Politik eine Rolle? Das Projekt rekonstruiert die damaligen Aushandlungen von Deutungsmustern zur Familie im reformierten Bern und im katholischen Tessin. Der Vergleich soll erkenntnisfördernde die Kontraste der politisch-sozialen, ökonomischen, konfessionellen und sprachlichen Diversitäten der schulischen Familienpolitik aufzeigen. Zum analysiert das Projekt Archivdokumente, zum andern erschliesst es die Betroffenenperspektive via biografischer Video-Interviews.
Hintergrund Die Familie ist ein Ort des Aufwachsens, aber auch ein Lebensbereich, welcher der normativen Begutachtung ausgesetzt ist. Das Projekt untersucht die Analyse gesellschaftlicher Kategorisierungen und Deutungsmuster und deren Auswirkungen auf die behördlichen Politiken im Umgang mit problematisierten Familien. In der Schule spielen «bürgerliche» Normalitätsvorstellungen bei der Kategorisierung der Schulkinder eine tragende Rolle. Sie prägen die Identifizierung von «abweichenden» und «verhaltensauffälligen» Kindern durch Lehrpersonen massgeblich mit. Ziel Die heutigen Ausbildungsgänge von Lehrpersonen legen auf eine reflexive Professionalität Wert. Das Projekt regt angehende Lehrpersonen dazu an, die eigenen Kindheits-, Familien- und Elternbilder zu hinterfragen, und trägt zur Sensibilisierung für stereotypisierende und diskriminierende Kategorisierungen bei. Schule, Behörden und Familie sollen sich die Verantwortung für die Erziehung der Kinder teilen, ohne Familien abzuwerten oder zu idealisieren. Bedeutung Die Erkenntnisse der historischen Entwicklung und Veränderung von Deutungen und Kategorisierungen der Familie leisten einen Beitrag zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für unterschiedliche Familienformen, für die versteckte Normativität von Fremdplatzierungen, für die Ambivalenz von Hilfe und Fürsorge. Die Videodokumente tragen dazu bei, Raum für die Sicht der Betroffenen und ihre Erinnerungen an die «Zugriffe» von Schule und Behörden zu schaffen.
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